In der warmen Jahreszeit beginnt wieder die Bade- und Barfußpark-Saison in Egestorf, aber nur die älteren Egestorfer Bürger wissen noch, dass hinter dem Schwimmbad Aquadies von 1926 bis 1939 ein großes Freikörperkulturgelände war, das „Sonnenland Egestorf“. Neben deutschen FKK-Anhängern kamen viele ausländische Besucher, um sich in der Natur zu erholen.
So fing alles an:
Robert Laurer (1899-1954) kam 1924 nach Egestorf, kaufte das Haus des Kunstmalers Friedrich Schwarz in der Bahnhofstraße (heute Alte Dorfstraße, Bornemann), gründete einen Verlag und ein kleines Freikörperkulturgelände in seinem Garten. Die Zeitschrift „Der neue Mensch“ berichtet 2004 ….“ein fünfter überregionaler Bund wurde 1927 mit der Gründung der Liga für freie Lebensgestaltung (LffL) durch den Verleger und früheren BdL-Gauführer Robert Laurer ins Leben gerufen. Der gebürtige Österreicher und studierte Bauingenieur kam über die FKK-Stationen Dresden (Schönheit), Freisonnland/Berlin und Siethwede 1924 nach Egestorf bei Hamburg, wo er einen der einflussreichsten und größten Naturistentreffpunkte eröffnete“. Das war für den kleinen Ort schon ungewöhnlich, da sich die FKK-Bäder fast ausschließlich in den großen Städten befanden.
Robert Laurer pachtete 1926 ein Gelände von 30 Morgen, das von der Schätzendorfer Straße bis hinunter in das Nerdenbeektal (hinter dem heutigen Aquadies / Barfußpark) reichte und gründete hier das „Luft und Sonnenbad Egestorf“, den idealen Sommeraufenthalt in den Ferien und am Wochenende für alle, die in Sonne und Nacktheit gesunden wollen. Es entstanden Schlaf- und Sonnenhäuser, Sportanlagen, ein kleiner Badeteich war vorhanden. Für Egestorf brachte dieses Bad einen wirtschaftlichen Aufschwung, der Andrang war groß und die Schlafhäuser nur einfach ausgestattet. So bauten die drei Gasthäuser (Kruse, Soltau, Rieckmann) viele Fremdenzimmer, auch die ersten Gästepensionen entstanden (Johannes, Krökel, Ahlers, Lüer).
Der Robert-Laurer-Verlag druckte und vertrieb die entsprechende Lektüre, unter anderem:
• Die Freude – Monatshefte für freie Lebensgestaltung
• Lachendes Leben – Zeitschrift für gesunde Weltanschauung
• Licht-Land – Blätter für Körperkultur und Lebensform
• Tempo – Magazin für Fortschritt und Kultur
• Ideale Körperschönheit – Eine Sammlung ausgewählter künstlerischer Naturaufnahmen
In Anzeigen wurde für das Bad geworben:
„Ihren Urlaub, Ihre Ferien verbringen Sie am schönsten und zweckmäßigsten im Luft und Sonnenbad Egestorf unmittelbar am Naturschutzpark. Schönste Lage inmitten der Lüneburger Heide. Wer seine Freizeit auf einem idealen Gelände verbringen und an Leib und Seele gestärkt in sein Berufsleben zurückkehren will, muß seinen Körper in Luft und Sonne baden und seinem Geist die rechte Entspannung verschaffen. Hierzu ist ihm in oben genanntem Luft- und Sonnenbad die beste Gelegenheit gegeben. Unterkunft und Verpflegung je nach Ansprüchen 4-5 Mark täglich.“
Oder:
Luftbad Egestorf (Bezirk Hamburg) Gasthof Hermann Soltau empfiehlt sich den verehrten Luftbadgästen – Pension von 4 RM an.
Chefredakteur bei Robert Laurer – der Verlag beschäftigte zeitweise ca. 20 Mitarbeiter – war Walter Brauns, Autor der Bode-Biographie „Der Heidepastor“. Ein weiteres bekanntes Werk war sein Buch „Den Freien die Welt“. Sogar ein Foto-Preisausschreiben mit 163 Gewinnen im Gesamtwert von 5.000 Mark bot der Laurer Verlag 1927 an.
Aber nicht alle Bürger im damaligen Deutschland (die Hefte gab es in allen Buchhandlungen, aber nicht in Egestorf!) sind mit der Aufmachung zufrieden – viele Aktfotos waren darin zu sehen, und so gab es hin und wieder Anzeigen, dann mussten sich die Gerichte damit beschäftigen. In einem Kundenrundschreiben von 1926 schrieb Laurer:
…die Sache der Körperkulturbewegung hat einen entscheidenden Sieg davon getragen. Nach acht Wochen schwersten Kampfes hat der Oberstaatsanwalt in Düsseldorf die Beschlagnahme von Heften „Lachendes Leben“ endlich aufgehoben… Es kam auch zu einem großen Prozeß in Lüneburg, den der Verlag verlor, in die Revision ging und dann doch gewann. Hierüber entstand sogar ein Buch mit dem Titel “Nacktheit als Verbrechen“ – der Kampf um § 184 StrGB im Lüneburger Nacktkulturprozeß. Die Egestorfer Poststelle hatte reichlich zu tun durch an- und abgehende Sendungen, der Verlag lieferte täglich (auch sonntags!) Post und Pakete an. Es kam sogar vor, dass die Kleinbahn einen extra Postwagen anhängen musste. Schüler verdienten sich Taschengeld, indem sie mit Handwagen Pakete für den Verlag transportierten.
Robert Laurer hatte jüdische Vorfahren und ging 1933 angeblich in seine Heimat Böhmen zurück. Der Verlag wurde aufgegeben und das „Sonnenland Egestorf“ bis Kriegsbeginn 1939 von Familie Weber weitergeführt. Noch heute sind Reste der Sportanlagen und der Badeteich vorhanden, die beiden Holzhäuser auf dem Gelände stammen aus dieser Zeit.