Rittergut Evendorf

Gänzlich ungewöhnlich für die Heide ist das aus den Stätten 1, 2 und 5 entstandene „Rittergut Evendorf“.

Nach der Ablösung seiner Pflichten von der Kirche zu Raven,verkaufete der letzte Namensträger Lüer den mehr als 870 Morgen (Anm.: 4 Morgen = 1 Hektar) großen Hof Nr. 1 (Lührs). Seine Vorfahren waren schon vor 1450 auf dem Hof als hörige Erbpächter. 1849 konnte der Mecklenburgische Güterpächter G.J.G. Stubbendorf auch den 772 Morgen großen Hof Nr. 2 (Hoyers) dazu erwerben. 1851, jeweils mit einer ausgezeichneten Eigenjagd ausgestattet, veräußern die Stubbendorfs die billigst erworbenen, selbst für einsame Heidegegenden großen Höfe für 25.200 (Nr. 1) bzw. 13.800 Taler (Nr. 2).

Evendorf wird zum Mekka Mecklenburgischer „Güterschlächter“. Die an Leibeigenschaft gewöhnten Großagrarier vermochten mit der niedersächsischen Mentalität nicht fertig zu werden. Da er „ausländische“ Häuslinge (z.B. Katholiken aus dem Eichsfeld) einstellte, fühlten sich die Einheimischen in ihrer Freiheit bedroht, wie der Schulmeister schreibt. Wunderschön ist dessen Charakterbeschreibung der Heidjer: „Gutmütig, immer zu harmlosen Späßen aufgelegt, gelegentlich auch recht derb, lässig in Ackerbau und Viehzucht, friedfertig mit großem Korpsgeist. Fünfzig Jahre gab es keine Feindschaft im Dorf. Wenn sie sich schon mal auf die Nase hauen, geschieht das im Übermut, nicht aus Feindschaft.“

Der Rechtsanwalt Schlüter erwirbt die zwei Höfe 1858 für seinen Sohn. Aus seinem bisherigen Wohnort Schwarmstedt bringt er eine bereits dort vorhandene Rittergutsmatrikel ein, die automatisch mit einem Sitz im Landtag verbunden war. Das war der Einzug der hohen Politik ins kleine Heidedorf. 1888 kann der Rittergutsbesitzer Schlüter sein Gut um 348 Morgen der ehemaligen Kirchenkothe Nr. 5 (Töters) vergrößern. Ab 1895 bewirtschaftet der Schlütersche Schwiegersohn Hümme den Hof mehr schlecht als recht. Ab 1889 werden Klee und neue Gräser angebaut, obwohl die Einheimischen warnen „Mergel macht reiche Väter, aber arme Söhne“ und von der Undankbarkeit des Heidebodens gegen Mergeln reden, wird ein Versuch unternommen.

1903 verkauft er den 2.050 Morgen großen Hof für nun 175.000 Mark an Bernhard Lucanus. Der versuchte daraus einen Musterbetrieb für Schafzucht und Kartoffelvermehrung zu machen. In Zusammenarbeit mit einem anderen Betrieb in Dachtmissen verbesserte er durch gezielte Zuchtauswahl und Einkreuzen spanischer schwererer Böcke die heimische Schnuckenzucht. Das Rittergut wurde renommiertes Lehrgut. Brasilianische Grafen, Norweger und Russen ‚lernten hier um‘, selbstverständlich gegen gehörige Zuzahlung und machten die weiblichen Lehrlinge wild!

Sehr zum Leidwesen des auf jede zusätzliche Mark angewiesenen Dorflehrers ließ er seine Kinder durch Privatlehrer unterrichten. Im preußischen Dreiklassenwahlrecht, wo die Stimmen nach der gezahlten Steuersumme zugeteilt wurden, hatte Lucanus mit 31 Stimmen die absolute Mehrheit im Gemeindeparlament ohne je davon Gebrauch zu machen.

1912 ließ er am 1910 angelegten Bahnhof 70 Morgen Heide mit dem Dampfpflug umbrechen. Dabei kamen unzählige vorgeschichtliche Urnen zutage. Nach der Inflation verlor der Sohn Lucanus die Lust an „soviel Wind hinterm Haus“ und begann zu verkaufen. Das repräsentative Gutshaus mit 528 Morgen kaufte W. Sauer für die heute geradezu lächerlich erscheinende Summe von 55.106 Mark. Auch der Gauleiter Telschow sicherte sich eine Eigenjagd von 388 Morgen. Der Großteil des Landes wurde in Rentengüter aufgeteilt:

Gräper 15 ha, Lange 8 ha, Lütker 11 ha, Völker 10 ha, H. Wulze 19 ha, H. Lütge 15 ha, A. Wulze 18 ha, Voss 14 ha, Mundt 12 ha, Stamer 14 ha, dazu noch einige Flächen an Anliegersiedler und auswärtige Bewerber.
Nach Dr. Friedrich Wilhelm Reineke (Chronik Egestorf – Ein Heide-Kirchspiel, 1995)

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